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Leute wie ich strömten nach Berlin, weil es „arm, aber sexy“ war. Diese Zeiten sind vorbei | Fatma Aydemir

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Leute wie ich strömten nach Berlin, weil es „arm, aber sexy“ war. Diese Zeiten sind vorbei | Fatma Aydemir

ICHIm Jahr 2003 war Berlin gerade aus einem jahrzehntelangen Fiebertraum erwacht: Die Mauer war gefallen, die Stadt war wieder vereint und die beiden deutschen Staaten hatten wieder eine gemeinsame Hauptstadt. Wirtschaftlich war der Aufbruch Berlins ein totaler Kater: Milliardenschulden häuften sich und die Arbeitslosigkeit erreichte einen historischen Höchststand. Kulturell blühte die Stadt jedoch auf. Auf den Überresten des Kalten Krieges herrschte in den Künsten und im Nachtleben ein geschäftiges Treiben wie bei einer nicht enden wollenden After-Hour-Party. Diese Parallelität von Verfall und Vergnügen beschrieb der damalige Bürgermeister Klaus Wowereit in einem Interview im selben Jahr als „arm, aber sexy“.

Der Satz war so kitschig und so kraftvoll, dass er in den Folgejahren zum Slogan für das Bild Berlins wurde, Zeichnung junge Kreative aus der ganzen Welt in die vielversprechenden Subkulturszenen der Stadt und ihren relativ erschwinglichen Wohnraum. Einer dieser jungen Leute war ich. 2012, als ich gerade mein Studium abgeschlossen hatte, hatte ich vor, den Sommer in Berlin zu verbringen. Zwölf Jahre später bin ich immer noch hier.

Was mich zum Bleiben bewegte, war eine blühende Kulturszene, die es mir, wie vielen anderen auch, ermöglichte, Kunst nicht nur als eine Form des Rückzugs von der Welt zu verstehen, sondern als eine kritische Herangehensweise an sie, ein Werkzeug, um das Leben auf neue Weise zu verstehen. Veranstaltungen wie z Experimentelles Musikfestival CTMAvantgarde-Theater wie VolksbühneDie unabhängigen Kunsträume, Literaturhäuser und Indie-Kinos wie Sinema Transtopia wurden nicht nur gebaut, um sympathische Unterhaltung zu verkaufen, sie waren Orte des geselligen Beisammenseins, in denen wir uns vorstellen konnten, in was für einer Welt wir leben wollten. Wo wir Werke von Künstlern aus aller Welt sehen konnten, ohne überteuerte Tickets kaufen zu müssen. Aber diese Zeiten sind vorbei.

Pläne zu kürzen Berlins Kulturbudget mit 130 Millionen Euro für 2025 hat Schockwellen durch die Kunstszene geschickt. Mit Protesten wurde versucht, die Pläne zu verhindern, doch auf der letzten Sitzung des Stadtsenats vor den Feiertagen wurde den Kürzungen dennoch zugestimmt. Von Opernhäusern und Galerien über kulturelle Bildungsprogramme bis hin zu freischaffenden Künstlern ist die kulturelle Infrastruktur Berlins in einem so großen Maße auf staatliche Hilfen angewiesen, dass viele Veranstaltungsorte und Einzelpersonen im nächsten Jahr einen Bankrott befürchten.

Sogar Joe Chialo, Kulturminister der konservativen Christlich-Demokratischen Partei (CDU), bezeichnet die 12-Prozent-Kürzungen als drastisch und brutal, fordert aber gleichzeitig die Kulturinstitutionen auf, gleicher zu denken und zu handeln Unternehmen. Kurz gesagt: Von nun an wird der Markt darüber entscheiden, welche Art von Kunst überlebt und welche nicht. Ich kann mir bereits vorstellen, dass Berlin mit all der faulen Arbeit reicher Kinderkünstler überschwemmt wird, die keinen Lebensunterhalt verdienen müssen. Und dies ist sicherlich das glorreiche Ende der Einheit der Stadt inspirierender Ort gehen.

Denn seien wir ehrlich: Berlin ist kein schöner Ort. Der Winter ist ein absoluter Albtraum, kein Sonnenlicht, kein warmes Gesicht. In der Küche dreht sich alles um Fast Food. Große Teile der Stadt riechen wie eine öffentliche Toilette; Überdosierte Touristen werden zufällig auf der Straße ohnmächtig. Es ist keine Stadt, in der man auf der Terrasse eines Cafés sitzt und den Menschen zuschaut. Aber selbst das ist mittlerweile kaum noch zu finden günstige Wohnung Du könntest zu Hause anrufen.

Kunst und Kultur sind die einzigen Dinge, die Berlin außergewöhnlich machen. Man möchte immer etwas Neues und Aufregendes sehen oder hören, und man muss dafür nicht reich sein. Kultur war in Berlin nie ein elitäres Projekt. Staatliche Zuschüsse trugen dazu bei, die Ticketpreise niedrig zu halten, was dem amtierenden Bürgermeister von Berlin unfair erscheint. In einem Akt rhetorischer Aerobic fragt der christdemokratische Bürgermeister Kai Wegner, ob es fair sei, dass „eine Supermarktkassiererin, die wahrscheinlich recht selten in die Staatsoper geht, mit den von ihr gezahlten Steuern dazu beiträgt, Opernkarten zu subventionieren“?

Nach dieser Logik ist Kultur ein Privileg der Reichen, die sich hohe Eintrittspreise leisten können. Eine Umfrage der taz ergab, dass es Kassierer sind nicht amüsiert auf Wegners Bemerkung und würden lieber selbst entscheiden, ob sie ins Opernhaus gehören oder nicht.

Aber es geht nicht nur um die Oper. Die kostenlosen Sonntage in Berliner Museen entfallen und die Angebote der kulturellen Bildung werden abgeschafft. Kulturelle Aktivitäten mit den Schwerpunkten Antidiskriminierung, Diversität, Inklusion und Migration sind alle stark betroffen. Es fühlt sich fast so an, als ob die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) bereits an der Macht wäre, nur dass sie es nicht einmal sein muss, denn die Koalition der Mitte im Stadtsenat kümmert sich um die Prioritäten der AfD, nämlich alles zu definieren der einem nationalistischen und regressiven Kulturverständnis kritisch gegenübersteht.

Um das Gesamtbild zu erhalten, betrachten Sie das sogenannte Antisemitismus-Resolution Das hat der Deutsche Bundestag im November beschlossen. Für viele Wissenschaftler und Künstler wirft der vage Wortlaut, der dazu aufruft, öffentliche Fördermittel für Projekte zu verweigern, die „Antisemitismus verbreiten“, ernsthafte Fragen zur Meinungsfreiheit auf und könnte leicht zu einem Unterdrückungsinstrument gegen Kritiker der israelischen Regierung werden.

Seit Jahrzehnten profitiert Berlin von seinem Image als Hort künstlerischer Freiheit. Es hat seinen Künstlern den Saft entzogen, um das internationale Prestige aufzubauen, das es heute hat. Doch anstatt ihre einzige Marke zu schützen, verkauft die Stadt ihre Kulturschaffenden, um den Haushalt auszugleichen. Berlin ist vielleicht nicht mehr so ​​arm wie früher, aber es wird nie wieder so sexy sein.

  • Fatma Aydemir ist eine in Berlin lebende Schriftstellerin, Romanautorin, Dramatikerin und Betreuerin Europa Kolumnist

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